Eine Reise beginnt...
Mein Leben, dessen Überraschungen und Ich
Drehbuch
von
Das Leben & Das Faultier
INNEN - KNEIPE - ABEND
FRÜHERES ICH Hey, die nächste Runde ist bestellt! Kommt doch rüber und trinkt eine Runde mit! Wir holen noch ein paar Stühle, rücken zusammen und schon wird es hier gleich viel gemütlicher mit euch.
Huch, erschrocken? Ich nicht. So etwas passiert ständig in meinem Kopf. Was ihr da eben mitbekommen habt, war mein früheres Ich. Die Situation war so schnell wieder vorbei, dass ihr gar nicht richtig die Zeit hattet, sie euch richtig anzuschauen. Macht in diesem Fall nichts, da ich die Situation noch genau vor Augen habe.
flashback (frühjahr 2015)
Die Szene findet in einer Bar, einer hübschen, mittelgroßen Studentenstadt in Deutschland statt. Mein früheres Ich sitzt an einem Tisch mit einer Vielzahl an Personen, das Licht ist gedimmt, hektisches und lautes Treiben ringsum, der Tisch klebt von Alkohol und Zucker. Immer wieder ist lautes Lachen zu hören und die Gruppe scheint sich zu amüsieren. Inmitten dieses Treibens sitzt nun mein früheres Ich.
Mitte zwanzig, durchschnittlich groß, kurzer Haarschnitt - die vorderen Haare nach oben und zur Seite gegelt. Volle Backen und unter dem T-Shirt zeichnet sich nun schon seit einigen Monaten ab, dass Sport und Bewegung in letzter Zeit nicht die gleiche Priorität wie FastFood und Bier hatten. Hier fühlt sich das frühere Ich pudelwohl. Es gibt eine Geschichte nach der anderen zum Besten, ist um keinen selbstironischen oder sarkastischen Spruch verlegen und genießt das Leben, so wie es sich gerade vor ihm ausbreitet. Die angekündigte Runde an Getränken kommt und wird begeistert in Empfang genommen. Es wird sich über viel Belangloses unterhalten, aber das stört keinen am Tisch. Genauso wenig stört es, dass die "alten" Geschichten zum x.-mal zum Besten gegeben werden. Es ist eine gelöste Stimmung und mein früheres Ich fühlt sich frei und euphorisch.
-Szenenwechsel-
INNEN - ZIMMER - Dämmerung
Ende Februar 2016. Stimmung und körperliches Befinden im Keller. Es ist schon fast wieder dunkel und langsam erhebt sich im diffusen Dämmerlicht eine Gestalt aus dem Bett. Sie nimmt einen Schluck aus der Wasserflasche, sieht sich um, wirft einen Blick auf die Uhr und horcht. Soweit alles ruhig. Aus dem oberen Stockwerk nur leichtes Wummern des Basses der Musiklautsprecher zu hören. Muss kein Zeichen von Anwesenheit einer Person sein - könnte auch schon stundenlang spielen, ohne das sich sonst noch jemand im Haus aufhält. Das einzige, was an diesem Tag einen Ausschlag ergab, war das Diagramm über den Ruhepuls - 89 -. "Immerhin nicht mehr über 90", denkt sich die Gestalt gleichgültig. Der Tag ist so gut wie gelaufen, es steht kein externer Termin an, und so lässt sie sich müde und niedergeschlagen wieder in ihr Bett sinken.
Bin nun wieder ein Jahr älter und habe das neue Lebensjahr mit einem Trip in die USA begonnen. Die Sonne in der Wüste von Arizona genossen und das geschäftige Gewusel und nervöse Geblinke der Leuchtreklamen in den Häuserschluchten von New York bestaunt - hört sich das nicht gut an?
Hätte dieser Trip vor einem Jahr stattgefunden, wäre ich gebräunt und voller Energie wieder zurückgekommen und hätte mich auf den kommenden Frühling gefreut. Das witzige an der Sache ist, dass dieser Trip vor einem Jahr so gar nicht hätte stattfinden können.
Der Grundstein dafür wurde schon vor Jahren gelegt und keimte dann Herbst letzten Jahres auf, bis er dann sehr schnell in voller Pracht zu blühen begann. Das Ergebnis war anfangs eine mittelgradige Depression, die sich später zu einer eher schweren Depression entwickelte. Ich verlor dadurch letztendlich nicht nur gute 15 Kg über einen sehr kurzen Zeitraum, sondern auch meine gewohnte Umgebung, meine Sozialkontakte, mein Studium - vorerst auf unbestimmte Zeit - mein Selbstvertrauen und meine große Liebe - eine ganz besondere Frau. Und so meldete sich auf der Reise immer mal wieder eine imaginäre Werbestimme in meinem Ohr. Bei neuen Eindrücken und Aussichten konnte es dann vorkommen, dass es in meinem Kopf summte und eine tiefe Stimme sagte :”Dieser Trip wird ihnen ermöglicht von ihrer Depression”. Starker Auftritt, muss man ihr lassen. Kannte ich so bisher auch noch nicht. Vielleicht wurde mein Hirn auch von der amerikanischen Lebenskultur inspiriert. Es wird fast jede freie Fläche mit Werbung gepflastert und jedes "Erlebnis" wird einem von irgend einer Firma gesponsert. Dabei spielt es keine Rolle, ob Großkonzern, oder der Laden für Ersatzteile um die Ecke. Das einem in den Restrooms der Restaurants nicht jede Spülung von einer Firma ermöglicht wird, scheint mir noch eine Marketinglücke zu sein, die gefüllt werden will.
Wie die Reise in die USA mir half, um dann doch alles viel schlimmer zu machen
Die großen und fleischlastigen Mahlzeiten in den USA waren ein Geschenk zur rechten Zeit für meinen Körper.
Wie oben beschrieben, nahm ich in kurzer Zeit sehr viel ab , Tendenz gleichbleibend. Dieser drastische Gewichtsverlust ist bei depressiv erkrankten Menschen keineswegs ungewöhnlich, dennoch ist es beängstigend. Ich trage seit einiger Zeit ein Gerät, welches unter anderem meine Herzfrequenz aufzeichnet - 24 Stunden am Tag. Sieht man sich die Diagramme an, stellt man fest, dass es keinesfalls verwunderlich ist, dass man so viel abnimmt. Durch ständiges grübeln verbrennt der Körper soviel Kalorien, dass es nur so raucht. Da kommen Kurven zustande, dass man denkt, der Patient hätte den ganzen Tag Sport getrieben. In diesem Zusammenhang ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass man permanent müde ist, aber durch das Grübeln dann doch nicht schlafen kann. Ihr könnt euch selbst denken, wo solch eine Teufelsspirale hinführt!
Mittlerweile habe ich wieder ein Gewicht erreicht, welches man als normal bezeichnet und der Appetit ist zurück. Alles andere befindet sich noch im Prozess und Zeit ist der Faktor, der mir immer wieder dabei begegnet und mich täglich begleitet. Zeit, Zeit und noch mehr Zeit...
Ich werde in einem späteren Blogpost die USA gesondert als Thema behandeln. Als ich aber wieder zuhause war, wurde mir bewusst, dass sich nichts geändert hatte. Ich war immer noch krank, erschöpft und ich fühlte mich durch den Jetlag noch kraftloser als zuvor.
Es gab vorher große Bedenken - von mir selbst, als auch von Dritten, ob ich diese Reise überhaupt hätte antreten können.
Das neue Jahr hatte begonnen, Weihnachten war nun schon mehr als eine Woche vorbei und die Welt begann sich langsam wieder in ihrer gewohnten Geschwindigkeit zu drehen. Familien kehrten aus ihren Urlauben zurück, Väter und Mütter gingen zur Arbeit, Studenten, naja, die machten eben, was man so als Student auch immer macht, und der Rest teilte sich auf in "muss noch verdauen" und "morgen fange ich aber wirklich an ins Fitnessstudio zu gehen". Es ging alles weiter und mir wurde bewusst, dass es für mich nichts gab, was weiter ging, oder worauf man sich hätte freuen können.
Ich hatte mir zum ersten mal nichts von meinen Familienmitgliedern zu Weihnachten gewünscht. Dinge, die man kaufen, mit Liebe verpacken und anschließend verschenken konnte, hatten bei mir an Bedeutung verloren. Ich wünschte mir im Stillen, Gesundheit und mein Leben zurück. An wen war dieser Wunsch gerichtet, wer konnte das schon erfüllen? Ich wusste es nicht, aber wenn es jemanden gab, der solche Wünsche erfüllen konnte, so wollte ich kein Risiko eingehen. Also schrieb ich ihn auf, schrie ihn in die kalte Nacht am Weiher und zündete eine Kerze an.
An Silvester dann stieß ich mit meiner Familie auf das neue Jahr an und wünschte mir exat das, was ich mir schon zu Weihnachten gewünscht hatte.
Nichts. "Du naiver Trottel, wo soll das auch herkommen und ausgerechnet jetzt, nur weil du es dir gewünscht hast?", dachte ich mir. Viele würden sich denken "neues Jahr, neues Glück". Aber nicht in einer Depression, die gerade anfing sich so richtig zu Hause zu fühlen, und begann die Füße auf den Tisch zu legen und Bier aus der Flasche zu saufen. Da gibt es für die nächsten 12 Monate ein riesiges schwarzes Loch. nichts, mit dem man es füllen könnte. Das versetzte mich in noch größere Panik und mein Leben schien an einem Punkt angekommen zu sein, an dem es einfach nicht mehr weitergeht. Dieser Zustand verschlimmerte sich derart, dass ich fortan von einem Facharzt mit Medikamenten eingestellt wurde. Von ihm kam auch der Spruch :
"26, hm? Tja, scheiße. Wie fühlt man sich da so mit Depression? Da will man ja eigentlich was anderes machen, oder? Aber glauben sie mir, das bekommen wir wieder hin!"
Nachdem ich die Medikamente nahm und eine Abmachungen mit meiner Therapeutin getroffen hatte, durfte ich also fliegen.
Während diese Reise erst beginnen sollte, hatte eine andere, nicht greifbare, schon ein paar "Sehenswürdigkeiten" für mich bereit gehalten...
Es grüßt herzlich