Faultierblog

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Die Suche

Innen - Auto - Tag

Die digitale Uhr eines Opel Corsa zeigt 12:22 Uhr an und aus dem Iphone, welches an der Windschutzscheibe befestigt ist, quäkt Googles Stimme für die Navigation. In 200 Metern muss mein früheres Ich also rechts abbiegen, um dann in 100 Metern links abzubiegen. "Moment mal, hier ist das? Ach, jetzt weiß ich auch wo ich hier bin". Das früheres Ich gähnt lauthals - im Auto hört einen ja niemand - und biegt links in die "Zielstraße" ein. "Sie haben ihr Ziel erreicht", lässt die Stimme wissen. Hatte es hier nicht im Sommer vor drei Jahren zwei Freunde abgeholt, um 40 Kilometer weiter, mit ihnen und den anderen Absolventen, das ihm verliehene Diplom zu feiern? "Eine unvergessene Nacht".

Das stimmt so nicht ganz. Unvergessen sind nur die Momente, die in jener Nacht nicht dem Alkohol zum Opfer fielen. Alle anderen sind wohl für immer verloren, oder können in 10 Jahren auf einer Jahrgangsfeier, durch die Hilfe aller Beteiligten, wieder (re-)konstruiert werden.  Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass es eine gelungene Nacht war, die man auch im Hangoverstil hätte verfilmen können. Mit dabei war so ziemlich alles, was zu einer Partynacht in einer Großstadt dazugehört : Viel Alkohol, Flunkyball, ein kaputtes Fenster, Personen in der Straßenbahn, die einen zum Schnaps einluden, Drogendealer, nicht umzustimmende, russische Türsteher, Geld, dass der Gruppe gestohlen wurde, und einen Wurstbudenverkäufer, der mit Burger und Pommes in dieser Nacht den Umsatz der Woche machte. Warum? Na, weil er uns, so sind wir uns im Nachhinein alle sicher, über den Tisch gezogen hat. Vor Ort hatten wir uns noch gefreut wie ein Schnitzel, weil wir dachten, wir hätten ihn über den Tisch gezogen, und eine Portion für lau abgegriffen, bis wir am nächsten Tag mal nachrechneten und das alles nicht so ganz hinhauen konnte.
Insgesamt eine sehr gelungene Partynacht. Wie eigentlich jede Party zu dieser Zeit, die entweder von unserer, oder mit unserer Gruppe gegeben wurde. Wir besaßen einen Schlüssel für das Gebäude und so wurden oft die Probebühnen, Aufenthaltsraum und die Küche als rettender Schlafplatz genutzt. Die Dinge, die dort zum Teil stattfanden, kann man Außenstehenden kaum beschreiben. Das aber um halb 5 Uhr nachts ein Typ mehrere schlafende Leute weckt, weil er seine Füße föhnt (angeblich wurden die auf dem Bühnenboden zu kalt, und Socken und eine Decke waren wohl weiter entfernt als ein Föhn), gehört hier zur harmlosen Sorte.

aussen - häuserblock - tag

12:25 Uhr."Viel zu früh. Hätte ich mich gar nicht so hetzen brauchen". Vor gut einer halben Stunde war mein früheres Ich aus dem Bett aufgesprungen, nachdem es sich erinnert hatte, dass es heute ja noch diesen Termin um viertel vor eins hatte. Es ist also noch Zeit sich etwas umzuschauen.
Im Erdgeschoss des Nachbarhauses hängt eine ältere Frau rauchend halb aus ihrem Fenster und starrt in die Gegend. Ihr Gesicht ist faltig und, ähnlich der Schnauze eines Mops, zusammengedrückt. Ihre wenigen, dünnen Haare sind grau, aber an den Spitzen seltsam vergilbt. Sie zieht an ihrer Zigarette und starrt emotionslos in die Gegend. Das ist alles was sie macht. Zwei Stockwerke über ihr steht ein weiteres Fenster offen, aus dem Kindergeschrei und das blecherne Tönen eines Fernsehers zu hören ist. Plötzlich bemerkt mein früheres Ich einen jungen Mann und eine junge Frau. Beide haben sie einen Rucksack und Akten bei sich. "Es scheinen hier also auch Studenten zu wohnen und wenn es nur diese zwei sind. Schon mal beruhigend", denkt es sich. Nach weiteren Minuten, in denen es sich umgeschaut hat, klingelt es an der Tür. Der Türsummer erklingt und die Tür ist entsperrt.

INNEN - HÄUSERBLOCK - TAG

Mit dem Aufzug geht es in den dritten Stock. Dort angekommen wird mein früheres Ich schon von einem jungen Mann erwartet, der aus seiner Wohnungstür schaut. "Komm herein, schön, dass es geklappt hat". Es tritt ein und ist baff. Im Internet war von 20 qm die rede, was nicht groß war, aber durchaus bewohnbar ist. Es gibt Wohnheimzimmer, die kleiner sind. "Das ist nun das gemütliche Zimmer..." , fängt der junge Mann an zu erzählen. Mein früheres Ich  hört nur zur Hälfte hin. Viel zu verblüfft ist es von dem Eindruck, welchen das "Zimmer" bei ihm hinterlässt. "Vom Flur durch eine Wohnungstür in einen weiteren Flur ", denkt es sich. Und in der Tat, ist das sogenannte Zimmer nichts anderes als ein möblierter Flur. Ein schlauchartiges Zimmer, in dem man nicht nebeneinander stehen kann. Nach 2 Metern befindet sich rechts eine kleine Aussparung, in die ein 90er Bett gestellt wurde. Gegenüber befindet sich der Schreibtisch und an beiden Wänden hängen Regalbretter. Am Kopfende des Bettes steht eine Art Kleiderschrank. Das Fußende schließt nahtlos an die Balkontür an. Achja, der Eingang zum Bad befindet sich hinter der Eingangstür gleich rechts und daneben die Kochnische.

 

Das Faultier befindet sich auf Wohnungssuche. Die Lebensumstände hatten sich das Jahr zuvor geändert und so war ein Umzug nötig geworden. Näher an der Uni wäre eine dufte Angelegenheit. Dufte sind allerdings auch die Mieten in dieser Lage. Sie stinken mehrere Kilometer gegen den Wind! Für den oben beschriebenen, möblierten Flur - mehr war es beim besten Willen nicht - darf man an die 400 € zahlen. Immerhin, Bad ist im eigenen Wohnflur und nicht auf dem Flur-Flur. Das Internet dürfte man sich mit dem Nachbarn teilen, weil es im eigenen Wohnflur keinen Anschluss gibt, dafür aber der Nachbar bereitwillig allen Zugang zu seinem WLAN verschafft, wenn man ihm dafür einen monatlichen Geldbetrag überlässt. Yeah, nicht nur, dass man dann in einem Netzwerk mit fremden Leuten wäre, man müsste sich auch noch die Bandbreite teilen, und das würde für das Faultier überhaupt nicht in Frage kommen!
Das Gespräch verläuft freundlich, aber beide Seiten merken, dass sie hier nicht ins Geschäft kommen werden. Wo würde das Faultier zwei Schreibtische und seine ganze Technik unterbringen? Im Sommer würde es hier unerträglich heiß werden, wenn alle Geräte laufen. Es erfährt, dass das Zimmer gar nicht so schlecht wäre, wenn man zum lernen an die Uni fährt und abends bei Freunden ist. Klasse! Genauso ein Zimmer hat sich das Faultier schon immer gewünscht... . Eigentlich ist klar, dass dies nichts wird, aber der Tropfen, welcher das Fass zum überlaufen bringt, der kommt noch. Auf dem Balkon, das einzig coole an diesem Wohnflur, darf man NICHT !! grillen ( so wird in vielen Regionen Deutschlands der Vorgang der Fleischzubereitung über Feuer, oder Holzkohle genannt). "Net emo aanstännisch broore kam a elo, die Buhd kimmt net in froa." Für alle, die aus Regionen kommen, deren Dialekt nicht klingt, als hätte man immer so ein kleines bisschen einen Sitzen, das Sprechen in der Südkurve des 1.FCKs gelernt und noch nie etwas von "Geschlechterunterscheidung" in der deutschen Sprache gehört hat : "Es ist mir nicht möglich, auf diesem Balkon gesittet zu grillieren? Dann kommt für mich diese Wohnung leider nicht in Frage."
So kam es dann auch und das Faultier sollte sich nie wieder bei diesem jungen Mann melden. Die Suche musste also weitergehen.

INNEN - BEHANDLUNGSZIMMER II - TAG (Anfang 2016)

Das Licht brennt hell aus Leuchtstoffröhren auf den Boden und wird dort vom PVC-Boden wieder reflektiert. Das Faultier sitzt auf einem Stuhl, der zwischen Computerterminal und Behandlungsliege platziert wurde, und starrt auf die Reflexionen im Boden. Langsam schweift sein Blick die Wände entlang. Die Bilder von Flugzeugen waren ihm das letzte mal schon aufgefallen. Es scheint so, als würder der Arzt fliegen, oder sich sehr dafür interessieren. Jetzt aber entdeckt es etwas neues. Die Tapete. Hatte eigentlich jeder Arzt diese abscheulich, feingenoppten Tapeten in hellgelber bis orangener Farbe? Ob das ein Standard ist, oder alle Austatter von Arztpraxen nur die Firma kennt, die diese Abscheulichkeit in Tapetenform herstellt? Es möchte eigentlich mit der Hand über die Noppen der Tapete fahren, lässt es aber lieber sein. Wer weiß, wer die schon alles angefasst hat? Immerhin ist das hier eine Arztpraxis.
Da geht die Tür auf und hinein kommt der Neurologe, der vor der USA-Reise die Medikation eingestellt hatte. Er stellt fragen, wie das momentane Befinden ist, und erkundigt sich nach der Reise. Er findet, sie hätte seinem Körper gut getan - sähe wieder gesünder aus. Das ist dann aber schon alles. Nachfolgend bekommt es erklärt, dass er nicht der Meinung ist, dass es rein ambulant in den Griff zu bekommen ist. Das Faultier müsse weg. Weg aus diesem Kaff, weg von seiner Familie, weg von den eingefahrenen Gedanken. Dafür gäbe es sehr gute Kliniken, und er würde eine mit exzellenten Ärzten kennen.

Das Faultier hatte so etwas auch schon überlegt, ist nun aber doch etwas überrumpelt. Der Arzt tippt die Einweisung und erklärt, dass er das Faultier dort anmelden würde. Es müsste nur noch einen Bogen ausfüllen und dort hinschicken. Genauere Informationen würde es an der Anmeldung erhalten, zusammen mit der Einweisung. Ein neues Rezept stellt er auch gleich aus. Die Augen des Faultiers füllen sich mit Tränen, es hört nur noch halb zu. Anscheinend wird die Dosierung angehoben. Egal. Steht eh auf dem Zettel. Zum Abschied einen Händedruck und schon ist er im nächsten Zimmer verschwunden.
Wie auf Schienen geht es zur Anmeldung. Dort liegen schon Unterlagen, die Einweisung und ein Rezept für das Faultier bereit. Eine Frau unterhält sich mit einem älteren Mann, der gerade reinkommt. "Gott, der sieht aber gar nicht gut aus", denkt sich das Faultier. Es bekommt erklärt, wie es nun weitergeht. "GESTERN WAR DER PFLEGEDIENST BEI IHNEN, ODER?", schreit eine der Frauen, "Mhm, ja?...weiß nicht, nein...,ja. Wer war da?", antwortet der Mann. Das Faultier muss raus telefonieren. Jemand muss es abholen. Als es wieder reinkommt, steht der alte Mann von eben an eine Wand gelehnt und weint. Er wüsste gar nicht, wer da war, und ob er nicht erst hier gewesen war heute morgen. Wir haben noch morgen....
Diese Szene nimmt das Faultier sichtlich mit. Es schnappt sich die Unterlagen und dann nichts wie raus. Draußen bricht es dann auch über das Faultier herein. "So, jetzt ist es also amtlich. Letzte Station Irrenanstalt", denkt es sich. Von allen Seiten wird es versichert bekommen, dass es eine gute Klinik ist und keinesfalls eine Anstalt. Eine Freundin wird ihm, nach Sichtung der Webseite, erzählen, dass es eher wie ein Hotel ist."Ja, eins für Bekloppte", denkt sich das Faultier.
Es hilft alles nichts. Die Formulare müssen ausgefüllt und anschließend abgeschickt werden. Anreise innerhalb von 24 Stunden möglich - Dieser Punkt wurde bejaht. Je mehr Zeit noch ohne greifbare Erfolge vergeht, desto geringer wird der (Über-)Lebenswille des Faultiers. Morgen einfach nicht mehr aufwachen? Warum eigentlich nicht? So viele Probleme auf einmal gelöst und der Verlust dabei war noch nie so minimal gewesen, wie zur jetzigen Zeit. Wenn es passieren sollte, so hätte es nichts dagegen. Wenn nicht, dann müsste es eben weiter durchhalten.

Getreu dem Motto "Wir melden uns dann bei ihnen, melden sie sich bitte nicht bei uns" ist nun warten angesagt. Der Arzt gab ihm noch mit, dass es durchaus mal 4-6 Wochen dauern kann, dass aber nicht so schlimm und eher schnell wäre.

Zwei verschiedene Jahre,gleiche Jahreszeit, komplett andere Ausgangslage. Persönlich, beruflich, Freundeskreis. All diese Felder haben sich innerhalb eines Jahres geändert. Nur, dass es wieder alleine ist, ist gleich. Und es ist wieder auf der Suche. Dieses mal nicht nach einer schönen Wohnung, die es mit Technik aufrüsten kann, sondern nach seiner Persönlichkeit. Seiner alten? Einer neuen? Einer Mischung aus beidem? Noch nie haben dem Faultier so viele Menschen geholfen etwas zu finden, und noch nie hat es sich dabei so alleine gefühlt, wie jetzt...

Es grüßt herzlich

Das Faultier