Flashback September 2015

INNEN - Wohnung - TAG

Ein Tag geht zu Ende und das Faultier fühlt sich nicht gut. Leichte Übelkeit macht sich den ganzen Tag schon breit und es sorgt sich über eine anstehende Nachprüfung. So wie es aussieht, hat es wieder mal keine der Fragen so verstanden, wie sie zu verstehen waren und ist durchgefallen.
Bis vor einem Jahr war für das Faultier ein Prolog ein einfaches Vorwort, oder eine kleine Einleitung in eine Geschichte gewesen. In seiner Schulzeit hatte es viele Prologe kommen und gehen sehen und als Schauspieler auch ein paar wenige vorgetragen. Sein alter Deutschlehrer(der coole, ältere!  Nicht der unsäglich schlacksige, jüngere, der zu groß für normale Türen ist und das Humorverständnis einer durchschnittlich gereiften Grapefruite besitzt) besaß eine ausgeprägte Vorliebe für einen Prolog. So schrieb er sehr gerne für bereits vorhandene Theaterstücke, lange und ausführliche Texte, welche dann als Prolog eingebaut wurden.
Das hätte Prolog für das Faultier gerne bleiben können. Aber Prolog ist noch viel mehr. Es ist eine Programmiersprache zum konstruieren von Logikprozessen und künstlicher Intelligenz. Der ganze Prüfungssommer ging nach hinten los und so muss Prolog noch einmal gelernt werden. 
Jetzt setzen immer häufiger Panikattacken ein. Zukunftsängste und Überlegungen, was man hätte schon viel früher anders machen können, bestimmen einen immer größeren Teil des Tages. Eine nur wenige Monate alte Beziehung scheint der einzige Lichtpunkt zu sein. Die Nächte werden durch schlechten Schlaf immer kürzer, die Zeit im Bett aber immer länger.

 

SEPTEMBER 2016

INNEN - WOHNUNG - ABEND

Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit. "Wie schnell es schon wieder dunkel wird". Die Dunkelheit kommt meinen Symptomen allerdings sehr entgegen. Helligkeit macht es nur schlimmer.  Ich rolle mich wieder zusammen und höre dem Fernseher zu. Zuschauen ist zu anstrengend für die Augen. Gedanken rasen durch meinen Kopf.

"Vor einem Jahr habe ich auch so viel Zeit im Bett verbracht"  "Jetzt geht es wieder los"   "Ich habe natürlich die 80% und nicht die 20% meiner Rückfallprognose erwischt"  "Noch einmal kann ich das nicht durchstehen"  "Nichts hat sich geändert"

Vor einem Jahr fing meine Depression an. Nun, was heißt da Depression? Ich war einfach schlecht drauf und hatte keine Power. Und das über mehrere Wochen. Bingo. Man nennt es eine Depression! Doch wer wollte das schon bei mir glauben? Allen voran war ich der Letzte, der daran dachte. Es wäre mir nicht in den Sinn gekommen.
Hier liegt aber schon der erste Unterschied im Vergleich zum vorherigen Jahr. Ich kenne mein Krankheitsbild mittlerweile sehr gut, kann Symptome erkennen und viel besser einschätzen was nötig ist, um diese einzudämmen. Ein weiterer Unterschied ist, dass ich gerade eine Medikamentenumstellung mache, mein Körper wohl vorher gefragt werden wollte und mir jetzt beleidigt Steine in den Weg wirft.

Stell dir vor, du hast den schlimmsten Kater deines Lebens, bist auf einer 24 stündigen Autofahrt und liest dabei ununterbrochen auf dem Rücksitz.
— Faultier

Dies als Erklärung, wie ich mich nun mittlerweile seit 4 Tagen fühle. Wir haben Montag Abend und es ist kurz nach 21 Uhr. Die Schmerzen im Kopf, die Übelkeit und der Schwindel, der es mir nicht ermöglicht länger zu sitzen, geschweige denn zu stehen, sind nicht mehr auszuhalten.
Ich frage schließlich eine Bekannte, ob sie mich bitte in die Psychiatrie fahren kann um dort in die Notaufnahme zu gehen.

 

INNEN - PSYCHIATRIE - ABEND

Krankenhausduft. Warum?? Mir ist schlecht genug! Ich gehe zum Empfang und muss feststellen, dass eine Scheibe zwischen mir und dem Portier ist. Die verhindert, dass ich mit ihm sprechen kann. Es scheint, als wäre er beschäftigt. Er sieht mich und macht dann weiter, mit was immer er auch gerade macht. Kein Zeichen, dass er sich gleich um mich kümmern wird. Es kann also sein, dass ich die ganze Nacht vor diesem Schalter stehe. "Was, wenn das gar kein Mitarbeiter ist, sondern ein Patient, der sich einen Spaß erlaubt? Ein Arzt sitzt in einer Ecke und telefoniert. Wahrscheinlich soll man das nicht mithören. Ein Zeichen, wäre dennoch nett.
Nach einiger Zeit geht die Scheibe jetzt endlich hoch. Ich schildere meine Beschwerden und bin baff. Was ich als Antwort zurückbekomme, ist eine Welle der Kompetenz und Freundlichkeit, wie ich sie so nicht erwartet hätte. "Ist das denn ein Notfall?" fragt mich eine sehr gut gelaunte Stimme. "Ne gebrochene Hand habe ich keine, aber dafür bin ich glaub eh in der falschen Abteilung", sage ich etwas keck. Kam nicht gut an. Seine Frage war also ernst gemeint. Mir reißt der Geduldsfaden und ich sage recht sauer: "Wenn ich ihnen jetzt hier über den Tresen kotze, haben wir dann einen Notfall??"
Der Arzt, der gerade im Raum ist, hört das Gespräch mit und weist den Mitarbeiter daraufhin, mich bitte aufzunehmen. Er wird sich um mich kümmern, nachdem er den Notfall vor mir bearbeitet hat.
Als ich dem Mitarbeiter meine Karte aushändige, geht das Spiel weiter. Auf meiner Karte steht mein Geburtsort. Nicht mein jetziger Wohnort."Die misse se ma tausche lasse" raunt er mir entgegen. "Aha, warum? Die sieht doch noch gut aus und ist nicht abgelaufen" "Na, wir dürffe eigentlich nur Notfälle ausm Stadtbereisch hier uffnämme. Daher. Sonst bekomme sie da Probleme" Mir schießen mehrere Überlegungen durch den Kopf, die alle absurd sind. "Meinen sie nicht, dass das die ganze Idee einer NOTAUFNAHME ad absurdum führt? Wenn ich mir in Berlin ein Bein breche, dann fahre ich sicherlich keine 7 Stunden, um mich behandeln zu lassen." Auf diese Diskussion lässt er sich dann nicht mehr ein und meint nur, dass ich es ändern sollte.
Während ich warte komme ich ins Grübeln. Bei psychischen (Not)-Fällen scheint ein anderer Maßstab zu gelten. Fremde Bekloppte will niemand in seiner Stadt behandeln. Man muss, ähnlich wie Josef und Maria, an seinen Geburtsort zurück kriechen, wenn dieser bei der Kasse noch gemeldet ist. Oder aber es ist eine Art "Dublin-Verfahren" für Bekloppte. Keine Stadt will sie haben, aber irgendwie müssen sie verteilt werden.

 


Jetzt bin ich ja nicht auf den Mund gefallen und ich hatte Glück, dass direkt einen Arzt in der Nähe war, welcher das Gespräch mitgehört und sich meinen Problemen angenommen hat. Aber eine Person, die vielleicht große soziale Schwierigkeiten hat, ängstlich und gerade in keiner guten Verfassung ist, die wäre dort komplett verzweifelt. (Die Chance eine solche Person in der psychiatrischen Notaufnahme anzutreffen, ist auch nicht gerade gering) Telefonate, die ich während meiner Wartezeit mitbekommen habe, sprechen auch nicht für diesen Mitarbeiter. Wenn man ein Einfühlungsvermögen einer getragenen Socke hat, dann kann man schlecht als Seelsorger, Pfarrer oder Sozialarbeiter arbeiten. Und man sollte sich dann auch überlegen, ob der Job am Empfang einer psychiatrischen Klinik, der richtige für einen ist.

 

Es grüßt herzlich

Das Faultier

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