Besuch in der Klinik
Zwei Jahre ist es nun her, dass ich mit schwerer Depression in eine psychosomatische Klinik eingeliefert wurde. Aufnahmedatum war der 17.03.2016. Am 25.03.2018 fuhr ich schließlich noch einmal an den Ort, an dem ich eine so schnelle und gute Genesung erleben durfte. Allerdings dieses mal nur für einen Tag und auch nur um eine Freundin zu besuchen.
Wir lernten uns während meines Aufenthalts vor zwei Jahren kennen und wurden am gleichen Tag entlassen. Sie war eine der Mädels aus der Essgestörtengruppe mit denen ich öfter zu tun hatte und super witzig waren - trotz ihrer Krankheit, die manche schon seit ihrer frühsten Jugend begleitet und quält. Als sie mir sagte, dass sie dieses Jahr erneut in dieser Klinik behandelt werde, war es selbstverständlich, dass ich sie dort besuchen würde.
Wir hätten uns keinen besseren Tag im März aussuchen können. Morgens um 7 Uhr musste ich noch meine Scheiben von Eis befreien, aber der Himmel signalisierte da schon, dass es ein sonniger Tag werden würde. Als ich so gegen 11 Uhr morgens dort ankam war das Gefühl etwas sonderbar. Ich fuhr durch die Eichenallee dieses kleinen Kurortes und erinnerte mich an meine abendliche Spazierrunde dort, welche ich oft einlegte, um meine Gedanken etwas zu ordnen, frische Luft zu schnappen und auch mal den immer gleichen Gesichtern zu entfliehen. Vorbei am prunkvollen Schloss(in dem ich bis heute noch keine Führung besucht habe) um dann auf die Straße zur Klinik einzubiegen. Auf den ersten Blick hatte sich dort nichts verändert in den letzten zwei Jahren. Es überraschte mich nur etwas, dass ich dort einen Parkplatz finden konnte. Ich ging also durch die Drehtür am Eingang und der Geruch war sofort vertraut.
Im Wartebereich des Empfangs wurde ich schon erwartet und wir begaben uns direkt zur Lounge um mir dort einen Kaffee zu besorgen. Die Fahrt war lange und ich musste schon früh aufstehen. Da war ein Kaffee schon mehrere Stunden überfällig. Sie hatte sich vor nicht allzu langer Zeit ein Macbook zugelegt, und so beantwortete ich auf ihrem Zimmer noch ein bis zwei kleinere technische Fragen und dann machten wir uns auf um in den Stadtkern zu spazieren. Unser Ziel war das Café, in dem es die besten Waffeln in ganz Deutschland gibt! Da es besagte Waffeln aber erst ab 13 Uhr gibt, setzten wir uns noch etwas auf eine Bank vor der örtlichen Kirche und tauschten unsere Erlebnisse der letzten Jahre aus und unterhielten uns über ihre Therapiefortschritte in der Klinik. Dann endlich war es soweit: Waffelzeit bei Emma! Wir bestellten eine normale Waffel und eine mit Lebkuchenteig und teilten sie dann. Beides göttlich, obwohl eine ganze Waffel mit Lebkuchenteig schon recht heftig die Geschmacksnerven kitzelt. Dazu eine schöne Eiskugel und Sahne! Ein Fest für jedes Faultier und der Horror eines jeden Essis(Koseform der Essgestörten in der Klinik).
Nach diesem hervorragendem Mahl machten wir uns auf zu einem weiteren, örtlichen Highlight. Dem See! Und genau wie damals, unterschätzte ich auch dieses mal, wie weit es tatsächlich bis zum See ist. In meinem Kopf war der See praktisch immer direkt hinter der Klinik. Auf der Karte ist das mehr oder weniger auch der Fall. Man sollte nur den Maßstab berücksichtigen. Je nach gewähltem Weg sind es bis zu 4km und dauert schon seine 45 bis 50 Minuten. Damals wollte ich an einem Tag unbedingt den See einmal umrunden. Auch weiter als gedacht. Es sind zwischen 8 und 9 Kilometern und geht ab einer bestimmten Stelle nur noch durch verwurzelte Waldstrecken. An diesem Tag war ich dann ordentlich erledigt, als ich wieder in der Klinik angekommen war. Wir beließen es dieses mal dabei nur an das Strandcafé zu spazieren, etwas die Sonne zu genießen und machten uns dann wieder auf den Rückweg. Dabei packten wir immer wieder ein paar Klinikanekdoten aus und schwelgten in Erinnerungen.
Zurück in der Klinik ruhten wir uns bei einem erneuten Kaffee noch mal etwas aus und gingen anschließend im Speisesaal zu Abend essen. Ich kam in den Speisesaal und war noch keine 5 Minuten dort, als eine Frau des Küchenpersonals vorbeikam, mich Grüßte und dann sagte:"Moment, wir kenne uns doch!"
In der Tat kannten wir uns. Aber verrückt, dass sie mich immer noch kannte. Von vielen Patienten wird sie dort als sehr streng und geradeaus empfunden. Das mag auch an ihrer Berliner Schnauze liegen. Als ich dort Patient war verstanden wir uns eigentlich ziemlich gut und wir hatten den Deal, dass sie mir morgens mitteilte, was es mittags in der Lounge für Kuchen geben wird, damit ich rechtzeitig erscheinen konnte, wenn es guten Kuchen gab. Gegen Ende legte sie mir sogar etwas zurück, als klar war, welchen Kuchen ich am liebsten aß.
Wir setzten uns also an einen Tisch und ich wurde einer Gruppe Essis vorgestellt, mit der die besuchte Patientin häufiger zu tun hat. Von Anfang 20 bis Anfang 30 war vom Alter her bei diesen Mädels alles dabei. Auch konnte ich wieder in traurige Gesichter von Tisch 1 blicken. Dort Speisen die Jugendlichen und Neuankömmlinge mit Essstörung. Es gibt zu jeder Mahlzeit therapeutische Begleitung und eine vorgegebene Menge auf einem Teller, die gegessen werden muss. Im späteren Verlauf der Therapie darf man sich dann eigenverantwortlich am Buffet bedienen. So auch die Gruppe, mit der ich aß. Ich konnte aber auch einen Fall beobachten, bei dem ich mich Frage, warum diese Person schon eigenverantwortlich ihr Essen aussuchen darf. Ein extremer Grad von Anorexie und die essi-typischen "Macken". Sie brauchte ungelogen 3 Minuten um sich ein Stück Brot aus dem Brotkorb auszuwählen. Es gibt 3 Sorten Brot und Brötchen, aber sie sehen eigentlich alle gleich aus. Sie nahm aber mit der Brotzange einzelne Scheiben langsam auf, betrachtete sie und legte sie wieder weg. Dieser Vorgang passiert bei allen möglichen Lebensmitteln und ist ein innerer Kraftakt bei den erkrankten Personen. Als ich dort Patient war, sprach sich schnell herum, dass man besser nicht zu Beginn der Essenszeiten auftaucht, weil dann noch die Essis ihr Salat aussuchen und dabei jedes Salatblatt einzeln begrüßen. Es bildeten sich dadurch regelmäßig lange Schlangen am Salatbuffet. Für die Betroffenen ist jede Mahlzeit aber immer wieder eine riesige Herausforderung und ein innerer Kampf mit antrainierten Gewohnheiten, die sich nicht so leicht brechen lassen.
Nach dem Abendessen gingen wir mit der Gruppe vom Essen noch kurz in die Lounge und unterhielten uns dort bei einem weiteren Kaffee weiter. Danach tauschten wir noch ein wenig Musik aus, auf welches Festival wir gedenken zu gehen und dann war der Tag auch schon wieder vorbei. Einer der sonnigsten Tage im März, mit einem schönen Wiedersehen, netten Gesprächen und einer exquisiten Waffel.
Es grüßt herzlich